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Baukondukteur Johann Friedrich Friedel

Im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts wandelte sich der Baustil im deutschsprachigen Raum vom Barock zum Rokoko. Der fast 60 Jahre alte, langjährige Hofbaumeister Johann Christoph Schütze war dem Hochbarock verpflichtet und vermochte es nicht, sich auf die neuen Formen und Strukturen umzustellen. Mindestens zwei Monate vor seiner offiziellen Entlassung aus Zerbster Diensten erfolgte die intensive Suche nach einem neuen Architekten in Berlin. Die engen Beziehungen der beiden seit 1742 regierenden Fürsten Johann Ludwig und Christian August zum preußischen Hof unter Friedrich II. ermöglichten es, den Baukondukteur Johann Friedrich Friedel (1721/22-nach 1798) nach Anhalt-Zerbst zu verpflichten.
Der Sohn des Berliner Ratsmaurer- und Zunftmeisters Johann Friedel trat beruflich in die Fußstapfen des Vaters. Über seine konkreten Tätigkeiten ist jedoch äußerst wenig bekannt. Bis 1749 stand der Maurermeister und Bauadjunkt als Baukondukteur in königlich-preußischen Diensten. Er ging nicht nur aus der Schule des berühmten Architekten und Malers Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699-1753), dem Hofbaumeister Friedrichs II., hervor, sondern gehörte auch für einige Zeit zu dessen Mitarbeiterstab. Knobelsdorff brachte das friderizianische Rokoko zur höchsten Blüte. In dieser Zeit eignete sich Friedel viel Wissen und zahlreiche Fähigkeiten an, um sie später bei eigenen Projekten umzusetzen.
Beim Umbau des Schlosses Rheinsberg [1], dem Wohnsitz des Kronprinzen Friedrich, war Friedel zum ersten Mal unter Knobelsdorff tätig. Von 1744 bis 1748 arbeitete er für den Zerbster Hof. Friedel errichtete den Ostflügel der Residenz und entwarf die Innenausstattung. Außerdem konzipierte und baute er 1744 ein Schießhaus, 1746 einen Fohlenstall und 1747 ein neues Hauptwach- und Spritzenhaus. Außerdem kümmerte er sich um die Gestaltung des Schlossgartens. Parallel zu seinen Zerbster Aufgaben lieferte er Pläne zur Erweiterung der Agnuskirche in Köthen, die jedoch nicht zur Ausführung kamen.
Nach seiner Rückkehr an die Spree entstanden mehrere Häuser nach seinen Entwürfen und unter seiner Leitung. [2] Nach seinem Abschied aus dem Staatsdienst 1749 wurde er selbständiger Maurermeister in Berlin. Von 1755 bis 1766 stand er als Bauinspektor abermals in preußischen Diensten. Friedel kehrte 1764 noch einmal nach Rheinsberg zurück und veränderte für Prinz Heinrich von Preußen (1726-1808), den Bruder Friedrichs des Großen, die Fassade des Marstalles am Schloss. Er errichtete eine massive Wand mit Mittelrisalit, auf dessen Attika Vasen zu stehen kamen. Vor der Front wurden eine Reihe antiker Büsten aufgestellt. In den Zeitraum 1764/65 fällt auch eine Betätigung im anhaltischen Dessau. Es ist jedoch unbekannt, welche Arbeiten er dort als Baudirektor ausführte.
Ein schriftlicher Beleg für die geistige Urheberschaft des Ostflügels fehlt bis heute. Jedoch sprechen alle bekannten Fakten für Friedel, kein einziges Detail für eine Beteiligung Knobelsdorffs. Viele Autoren, die sich mit der Zerbster Residenz befassten, wiesen die Gesamtentwürfe Knobelsdorff zu, ohne dafür Belege zu liefern. [3] Seine Teilnahme am Zerbster Schlossbau ist urkundlich nicht nachweisbar. Wäre sie erfolgt, hätte sie sich aber in einer Vereinbarung und in Geldzahlungen niederschlagen müssen. Die noch vorhandenen Schriftstücke Friedels zur Errichtung der Residenz enthalten keine Hinweise auf den königlich-preußischen Baumeister. In den Kammerrechnungen, die für den fraglichen Zeitraum lückenlos existieren, finden sich keine Zahlungen an Knobelsdorff. Anhaltspunkte für Zuschüsse aus der fürstlichen Privatschatulle existieren ebenfalls nicht. In der Gedächtnisrede Friedrichs II. von Preußen auf Knobelsdorff werden die Werke des Meisters genannt, darunter auch der Bau des Dessauer Schlosses, doch nicht die Beteiligung an der Errichtung des Ostflügels in Zerbst.
Der versierte Kunsthistoriker Wilhelm van Kempen schrieb 1933 zur vermuteten Autorschaft Knobelsdorffs: "Das ist alte anhaltische Tradition. Inwieweit sie indessen zu recht besteht, bleibe hier dahingestellt. Mehr und mehr neigt man jetzt dazu, sie ernstlich zu bezweifeln. Denn es gibt schwer zu denken, dass Knobelsdorffs Name in dem gesamten, überaus reichen Aktenmaterial zum Schlossbau kein einziges Mal sich findet! Das kann kein Zufall sein, das muss einen sehr realen Grund haben, um so mehr, weil alle anderen am Bau Beteiligten wiederholt nachweisbar sind! Neigen wir daher auch der Ansicht zu, dass Knobelsdorff selbst nicht in Zerbst gewesen ist." [4]
Die Behauptung Ludwig Grotes: "In Zerbst ist auf Knobelsdorff [...] die straffe vertikale Gliederung durch Lisenen und Risalite mit Figurenbekrönung zurückzuführen" [5] ist durch die Bauakten eindeutig widerlegt. Diese Strukturen, die bereits 1707 bis 1709 entstanden, gingen auf ein Konzept Simonettis zurück. Auch Annelise Streichhan [6] folgte der Ansicht Grotes. Marie-Luise Harksen vertrat sogar folgende Meinung: "Um eine Einheit des gesamten Schlosses zu schaffen, wurden dem Westflügel Pilaster vorgeblendet" [7]. Genau das Gegenteil war der Fall. Friedel schuf mit dem Ostflügel äußerlich eine nahezu identische Kopie des westlichen Traktes. Nur so konnte eine gleichmäßige Dreiflügelanlage entstehen. Er fügte lediglich einige wenige Schmuckelemente hinzu, die jedoch die völlige Harmonie nicht beeinträchtigten. Auch aufgrund dieses sehr geringen kreativen Spielraumes scheidet eine Beteiligung Knobelsdorffs komplett aus. Außerdem belegt eine von Friedel signierte Zeichnung der Südseite des gesamten Schlosses die Urheberschaft des Baukondukteurs. Der von Fürst Johann Ludwig (II.) approbierte Plan bildete die Grundlage für die Errichtung des Ostflügels.
Im Gegensatz zum Außenbau folgte Friedel mit der Aufteilung des Grundrisses nach französischen Vorbildern und der Gestaltung der Appartements im Stil des friderizianischen Rokoko dem aktuellen Trend der Zeit. Die Raumanordnung und die Dekorationen unterschieden sich grundsätzlich zu den Zimmern und Sälen im Corps de logis und Westflügel. Friedel brachte die Gliederung der einzelnen Geschosse inklusive der Raumfunktionen in zwei Serien zu Papier. Die beschrifteten, heute noch existierenden Zeichnungen stammen nachweislich von seiner Hand.
Ludwig Grote konstruierte anhand von Zeichnungen zum Audienzsaal im Ostflügel (Raum 130), die sich im sogenannten Knobelsdorffschen Skizzenbuch [8] befinden, die Autorschaft Knobelsdorffs für diese Inneneinrichtung. Er vermutete sogar, "daß Knobelsdorff die Entwürfe bei einem Besuche in Zerbst im Beisein des Fürsten verfertigt hat." [9] "Nach Meinung des Verf. [Tilo Eggeling] läßt sich diese Zuschreibung nicht aufrechterhalten." [10] Nach heutigem Forschungsstand kann "weder dieses Skizzenbuch noch ein weiteres im gleichen Format (Skbch 3827) [...] für Knobelsdorff in Anspruch genommen werden" [11]. "Denn nach eingehenden Analysen des Zeichen- und Ornamentstiles dieser Blätter [...] ergaben sich keine überzeugenden Gesichtspunkte für eine Autorschaft Knobelsdorffs." [12] Vielmehr kommen als Zeichner der Skizzenbücher die Architekten Andreas Krüger oder sogar Johann Friedrich Friedel infrage. Darüber hinaus geht aus den historischen Akten zum Zerbster Schlossbau eindeutig hervor, dass Friedel die Pläne für das Audienzzimmer schuf. Sie bildeten die Grundlage für den am 27. August 1746 mit Johann Michael Hoppenhaupt d. Ä. geschlossenen Vertrag zur Ausführung der Boiserie: "Dekorierung in gemeldetem ganzen Zimmer nach Anweisung des davon von dem Herrn Bauinspektor Friedel gefertigten und gnädigst approbierten Risses zu übernehmen und anzufertigen" [13]. Der Baukondukteur hätte es nie gewagt, Zeichnungen Knobelsdorffs als seine eigenen zu deklarieren. Für die Gestaltung von Decken, Wandpaneelen und Fußböden anderer Repräsentationsräume lieferte er ebenfalls Zeichnungen, wie es in den Aufträgen an die verschiedenen Handwerker festgehalten ist. Unabhängig davon ergaben auch Stilvergleiche kein anderes Bild: "Da nach unserer Meinung [Tilo Eggeling] auch die Dekorationen der anderen Zerbster Schloßinnenräume, das Zedernkabinett und das Blaue Kabinett, stilistisch mit dem Audienzzimmer sehr verwandt sind, dürfte Friedel auch als Entwerfer dieser Dekorationen in Frage kommen." [14] Neben der sehr gelungenen, detailgetreuen Außenansicht des Schlosses belegen die Entwürfe Friedels zu einem dreiteiligen Dachaufbau, einem Wasserspeier in Form eines Drachenkopfes und Gartenportalen in mehreren Varianten sein kreatives und zeichnerisches Talent.
Von Johann Friedrich Friedel wurde in seiner Eigenschaft als Baukondukteur ein breites Spektrum abverlangt, das er in preußischen Diensten erlernte und schließlich selbst beherrschte. Zu seinen Leistungen gehörte es insbesondere, Entwürfe zu verschiedensten Bereichen des Schlossbaus anzufertigen.
Auch wenn keine direkte Beteiligung des Baumeisters Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff am Zerbster Schlossbau feststellbar ist, so kam aber sein Einfluss durch die Fähigkeiten des Baukondukteurs Johann Friedrich Friedel, die er unter dessen Führung erwarb, zum Ausdruck. Leider ist der Ostflügel der Zerbster Residenz Friedels einzig bekanntes großes Werk.

Auszug aus dem Buch:
Dirk Herrmann, "Schloss Zerbst in Anhalt", Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2005

[1] Ab 1734 gestaltete der Baudirektor Kemmeter Schloss Rheinsberg zur kronprinzlichen Residenz um. Knobelsdorff übernahm 1737 die Bauleitung, die bis 1739 währte. Trotz späterer Veränderungen und Fremdnutzungen blieb das Haus erhalten und steht als Museumsschloss Besuchern offen.
[2] Dazu gehörten das Mehlmagazin in der Packhofstraße und das Haus Lottum in der Neuen Kommandantenstraße.
[3] Zuweisung der Schlossentwürfe an Knobelsdorff zuletzt in Heckmann 1998, S. 302.
[4] Kempen 1933, S. 20
[5] Grote 1923
[6] Streichhan 1932
[7] Harksen 1960, FS. 24
[8] Skbch 3826, fol. 131 Vs, 131 Rs, 132, 133 (Plankammer Schloss Charlottenburg, Berlin)
[9] Grote 19351, S. 55
[10] Eggeling 2003, S. 26
[11] Eggeling 2003, S. 20, Anm. 47
[12] Eggeling 2003, S. 41
[13] LHASA, DE, Kammer Zerbst 2847
[14] Eggeling 2003, S. 20, Anm. 47