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Ein sensationeller Fund aus dem Schloss

Am 7. März 2003 wurde der Förderverein Schloss Zerbst gegründet. Der eingetragene Verein zählt inzwischen über 100 Mitglieder. Zu den Hauptzielen gehört die Bewahrung der Schlossruine mit ihrer vielfältigen originalen Substanz vor dem endgültigen Verfall durch Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen. Denn das Residenzschloss war ein wichtiges bauliches Zeugnis des Landes Anhalt und zählte zu den bedeutendsten Barockbauten im mitteldeutschen Raum. Namhafte Baumeister und Künstler schufen in Zerbst ein herausragendes, in Teilen den Berliner und Potsdamer Schlössern ebenbürtiges Ensemble. Außerdem soll das Gebäude einer Nutzung zugeführt werden.
Noch heute übt die Zerbster Schlossruine durch ihre Ausmaße eine große Faszination aus, auch wenn von der ursprünglichen barocken Pracht nur noch wenig zeugt. Die Mauern, die es zu erhalten gilt, berichten von einem bedeutenden Stück Geschichte. Vom wertvollen Inventar der fürstlichen Residenz und von den Gegenständen, die im Schlossmuseum ausgestellt waren, ist hingegen nicht viel geblieben. Nur wenige Objekte sind heute im Museum der Stadt Zerbst zu sehen. Der Fund von zehn kostbaren Tapisserien im Jahr 1994 zählte bisher immer als größter und herausragendster. Die 1752 angeschafften, zur Originalausstattung des Schlosses gehörenden Stücke erlebten eine wahre Odyssee, beginnend mit ihrer Auslagerung in den Kalischacht Solvayhall im Jahr 1943. Über Berlin in die damalige Sowjetunion verschleppt kamen sie 1958 nach Berlin zurück, wo sie noch heute im Depot des Deutschen Historischen Museums Berlin lagern (zur Geschichte der Tapisserien siehe Heimatkalender 1996).

  Schlosstüren Die Doppelflügeltür aus dem ehemaligen Schlaf-
zimmer der Fürstin Caroline Wilhelmine Sophie
Im Januar 2004, 59 Jahre nach der Zerstörung des Schlosses und der Stadt Zerbst, trat ein weiterer sensationeller Fund zutage: eine originale Tür aus dem Schloss. Kaum jemand hätte an eine solche Entdeckung nach so vielen Jahren gedacht. Einem Hinweis folgend begab sich der Vereinsvorsitzende Dirk Herrmann zum Grundstück der ehemaligen Firma Maschinenbau Otto Specht in der Breiten Straße. Schnell war die Tür in einem Schuppen auf dem Hof lokalisiert. Es handelte sich um die Hälfte einer doppelflügeligen Tür. Durch Wind und Wetter hatte sie sehr gelitten, ist aber in ihrer Grundstruktur noch gut erhalten. Doch wo war der zweite Türflügel? Nach erfolgloser Suche im Hofbereich blieb noch der große Dachboden des barocken Bürgerhauses. Dort lugte auf der zweiten Bodenetage ein kleines Stück des anderen Türflügels hervor.
Eine Woche nach der Entdeckung wurden die Objekte mit hohem symbolischem Wert abgeholt. Das in einem Schuppen lagernde Türsegment war schnell von engagierten Mitgliedern des Fördervereins auf einem Transporter verladen. Viel schwieriger gestaltete sich dagegen die Bergung des Stückes auf dem Dachboden. Auf Balken balancierend musste es zunächst freigelegt und auf den unteren Teil des Bodens herabgelassen werden. Der bei den Arbeiten herabrieselnde und aufgewirbelte, zentimeterdicke Staub der letzten Jahrzehnte erschwerte das Atmen erheblich.
Nach der Sicherung der Tür trauten die Beteiligten ihren Augen kaum. Unter Bergen von angesammeltem Hausrat traten weitere fünf Türen zutage. Schnell konnte der Vereinsvorsitzende auch diese Stücke als zum Zerbster Schloss gehörend identifizieren. Die Sensation war perfekt. Unter schwierigen Bedingungen wurden auch diese Teile vom obersten Boden heruntergeholt. Als kompliziert und schweißtreibend erwies sich dann der Transport vom Dachboden bis ins Erdgeschoss des Hauses. Enge Treppen mit schmalen Stufen erschwerten den Umgang mit den großen Türen. Hinzu kam deren enormes Gewicht, handelt es sich doch um massive Eichenholztüren. Schließlich gelang es, alle Türen zu verladen und in einen gesicherten Raum einzulagern.
Herausragend sind die beiden Blätter der Doppelflügeltür. Sie weisen eine Dreifeldereinteilung mit eleganten Füllungen auf. Die Profile der Felder und die Kanten der Füllungen sind mit Blattgold versehen, das an den meisten Stellen erhalten ist und unter dem Schmutz hervorschaut. Alle anderen Flächen sind weiß gestrichen. Die nachträglich auf einen Türflügel aufgetragene Goldbronze entspricht nicht dem originalen Zustand. Für den Vorsitzenden des Fördervereins Schloss Zerbst e. V. und Autor des Buches "Schloss Zerbst in Anhalt" war es auf den ersten Blick möglich, die Türflügel dem Raum im Schloss zuzuordnen, in dem sie sich einst befanden. Sie gehörten zu einem Schlafzimmer im Haupttrakt der Residenz. Der Raum war Bestandteil des Appartements, dass zuletzt von Fürstin Caroline Wilhelmine Sophie, der ersten Gemahlin des letzten Zerbster Fürsten Friedrich August, bewohnt wurde. Zuvor lebte dort Johanna Elisabeth, die Mutter der späteren russischen Zarin Katharina II. Dieser Raum ist physisch noch heute vorhanden. Er liegt im ersten Obergeschoss im Nordbereich der Schlossruine. Die Wände des Schlafzimmers waren mit kostbaren Tapisserien verkleidet. Die Serie mit mythologischen Szenen bestand aus acht Wandteppichen, von denen sich drei bis heute erhalten haben (siehe oben).
Die anderen fünf geborgenen Blätter gehören zu einflügeligen Türen und entstammen ebenfalls der fürstlichen Etage des nur noch zu einem Fünftel existenten, von Cornelis Ryckwaert erbauten Haupttraktes. Sie befanden sich einst zwischen den fürstlichen Wohn- und Repräsentationsräumen auf der Gartenseite bzw. zwischen diesen und der auf der Hofseite durchlaufenden Galerie. Die Türen entstanden wohl zwischen 1690 und 1695. Sie sind schlichter als die Doppelflügeltür, ganz in Weiß gehalten und weisen nur zwei Felder mit Rahmenprofilen auf. Fehlende charakteristische Merkmale erlauben keine Zuordnung zu einem bestimmten Zimmer.
Der ersten Einschätzung nach sind die Türflügel in einem recht guten Zustand, sodass sie erhalten und restauriert werden können. Es ist sogar denkbar, dass sie im Rahmen des angestrebten Wiederaufbaus der Schlossruine teilweise ihren alten Platz einnehmen. Außerdem könnten sie als Vorbild für eventuelle Neuanfertigungen dienen. Leider sind die originalen, ursprünglich vergoldeten Türschlösser nicht mehr vorhanden. Es existieren nur noch einige Scharniere mit gedrehten Messingaufsätzen, die früher ebenfalls vergoldet waren.

Für den Förderverein Schloss Zerbst e. V. besitzt dieser Fund eine besonders hohe Bedeutung. Unklar ist bis heute, wie die Türen aus dem Schloss ins Haus Breite Straße 43 gelangten. Leider kann der bereits verstorbene Otto Specht dazu nicht mehr befragt werden, so dass es wohl für immer ein Geheimnis bleiben wird. Was jedoch zählt ist, dass die originalen Türen geborgen, für nachfolgende Generationen bewahrt und der Öffentlichkeit im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zugänglich sind.
Der aktuelle Fund belegt, dass sich noch immer Originalstücke aus dem Schloss in Zerbster Privatbesitz befinden. Nur durch Zufall konnten die Türen identifiziert und gerettet werden. Andernfalls wären sie im Rahmen der Haushaltsauflösung im Feuer gelandet. Um dies zu vermeiden, sind alle Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, sich bei eventuellen Funden an ein Mitglied des Fördervereins zu wenden.

Dirk Herrmann

In: Zerbster Heimatkalender 2005, Seite 148—151


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