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Eine Entdeckung in der Dübener Heide

Die Dübener Heide zwischen den Flussauen von Elbe und Mulde zählt zu den größten zusammenhängenden Waldgebieten Mitteldeutschlands. Die einzigartige Landschaft mit einer Vielfalt an Pflanzen und Tieren ist seit Oktober 1992 Naturpark. Die leicht hügelige Gegend mit ausgedehnten Mischwäldern lädt zu Spazieren gehen, Wandern und Radfahren ein. Bekannte Orte der Dübener Heide sind die beiden Kurstädte Bad Düben und Bad Schmiedeberg. In unmittelbarer Nähe von Bad Schmiedeberg liegt das kleine verträumte Reinharz. Der Ort würde sich kaum von anderen abheben, stünde dort nicht ein großes Schloss. Besonders markant ist der hohe Turm, des sich vor der Hauptfassade erhebt. An drei Seiten ist das Gebäude von Wasser umgeben. Ein kleiner Park und ein See machen die Umgebung zu einem schönen Aufenthaltsort. Bereits im 15. Jahrhundert besaß die Familie Löser, ein Rittergeschlecht, Land um den Ort Reinharz. Der sächsische Kurfürst Johann Georg II. (1613-1680) belehnte sie 1666 mit weiteren Gebieten. Das alte Herrenhaus entsprach natürlich nicht mehr dem Zeitgeschmack. Außerdem war damit zu rechnen, dass der Kurfürst auf seinen zahlreichen Jagden auch Station in Reinharz machte. Zur standesgemäßen Unterbringung des Herrschers und natürlich auch zur eigenen Repräsentation gab Graf Heinrich Löser (1665-1705) ein neues Schloss in Auftrag. In den Jahren 1690 bis 1701 entstand eine für ein Grafengeschlecht recht großzügige barocke Anlage. Möglich wurde dieser Bau durch die sich landesweit langsam erholende finanzielle Lage nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg.
Um ein belastbares Fundament zu erhalten, wurden viele starke Eichenstämme in den sumpfigen Baden gerammt. Das Schloss selbst hat drei Etagen, der achteckige Turm ragt acht Geschosse in die Höhe. Der Turm auf dem sich ein Aussichtsgeschoss mit Laterne und welscher Haube befindet, wurde jedoch erst um 1748 auf immerhin 68 Meter erhöht. In der Turmstube waren zahlreiche astronomische Instrumente installiert, die der Graf eigens in Reinharz in einer mechanisch-optischen Werkstatt anfertigen ließ.* Von dort oben beobachtete er die Gestirne.
Erstaunlich, dass die Eichenpfähle den hohen, schweren Schlossturm bis heute ohne Probleme tragen. Leider ist nicht bekannt, welcher Baumeister oder Baukondukteur mit dieser großen bau- und ingenieurtechnischen Aufgabe betraut war. Erneuerungen, die vor allem das Schlossinnere betrafen, erfolgten unter Graf Hans Erich Löser (1704-1763) um das Jahr 1748. Drei Räume im Stil des Rokoko verweisen noch heute darauf.
Die Eingangshalle ist mit zarten Stuckrocaillen versehen. Den Fest- und Speisesaal zieren blaue Delfter Kacheln, vergoldete Schnitzereien, Statuen und Gemälde. Ein daran anschließender Raum ist mit sechs Porträts geschmückt. Sie sind in der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden und erhielten prachtvolle, geschnitzte, vergoldete Rahmen. Ein Faltblatt führt die dargestellten Persönlichkeiten auf, jedoch stimmen die Angaben nicht mit den Porträts überein. Eines soll die Gräfin Cosel (1680-1765) zeigen, eine Geliebte Augusts des Starken (1670-1733). Die Frau auf dem Gemälde ist der Gräfin Cosel aber überhaupt nicht ähnlich. Tatsächlich wurde die Dame auf Anhieb als Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst (1729-1796) identifiziert, die spätere russische Zarin Katharina II. Es handelt sich um eine Darstellung als Großfürstin in einem prachtvollen weißen Kleid. An einer roten Schärpe ist der russische St. Katharinen-Orden zu erkennen. Das Gemälde ist eine Kopie nach einem Porträt von Antoine Pesne, Hofmaler Friedrich des Großen von Preußen. Das Original gehörte zum Inventar des Berliner Schlosses und gilt als Kriegsverlust.
August der Starke ( Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen und gleichzeitig König August II. von Polen) mit dem Kreuz des Weißen-Adler-Ordens und dem Orden vom Goldenen Vlies ist unter den Porträts in Schloss Reinharz vertreten. Allerdings passt die Krone des vergoldeten Rahmens mit seitlich angeordnetem Zepter und Reichsapfel weder nach Sachsen noch nach Polen. Hier handelt es sich um die stilisierte russische Zarenkrone. Irgendwann - vielleicht bei einer Restaurierung - wurden die Rahmen von Katharina II. und August des Starken vertauscht.
Außerdem sind die Porträts seines Sohnes und Nachfolgers Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen bzw. König August III. von Polen (1696-1763) nebst Gemahlin Maria Josepha (1699-1757) zu sehen. Dass es sich nicht um die Eltern Augusts des Starken handelt, wird an den beigefügten Attributen deutlich: polnische Königskrone und Reichsapfel, Kreuz und Stern des Weißen-Adler-Ordens sowie Orden vom Goldenen Vlies. Die sächsische Kurfürstin bzw. polnische Königin und gebürtige österreichische Erzherzogin trägt in Brusthöhe den österreichischen Sternkreuz-Orden am schwarzen Band, and der Seite liegt die polnischen Königinnenkrone.
Eine "polnische katholische Gräfin" entpuppt sich schnell als Maria Theresia (1717-1780), Kaiserin von Österreich und Ungarn. Ein unverkennbarer Beweis ist die markante ungarische St. Stephanskrone auf einem roten Kissen neben ihr. Auch ein Porträt des Schlossherren Graf Löser mit dem Weißen-Adler-Orden an blauer Schärpe zählt zur Ausstattung.
Dass Gemälde von Persönlichkeiten aus dem sächsischen Herrscherhaus vorhanden sind, ist gut nachvollziehbar, standen doch die Grafen auf Schloss Reinharz in deren Diensten. Auch Kaiserin Maria Theresia passt ins Konzept, war sie doch eine Cousine der polnischen Königin und sächsischen Kurfürstin Maria Josepha. Eine unmittelbare Beziehung zu Katharina II. lässt sich jedoch nicht herstellen. Porträts dieser bedeutenden Frau und Herrscherpersönlichkeit des 18. Jahrhunderts finden sich jedoch in vielen deutschen und europäischen Schlössern.
Im frühen 19. Jahrhundert starb das Geschlecht der Löser aus. Das Schloss gelangte in andere Hände. Nach 1945 diente das Gebäude verschiedenen Zwecken. Radikale bauliche Maßnahmen zerstörten die ursprüngliche innere Struktur völlig. Nur drei Räume blieben in ihrer Form annähernd erhalten. Seit 1962 befand sich im Schloss ein Genesungsheim, das nach der politischen Wende aufgegeben wurde. Heute steht das Schloss leer und vermittelt außen einen trostlosen Anblick. Jedoch konnten der Saal und der angrenzende Gemälderaum vorbildlich restauriert werden. In den anderen Schlossbereichen wurden die Fremdeinbauten entfernt. Ein Förderverein kümmert sich um die Erhaltung der Anlage und ermöglicht Besichtigungen.

Dirk Herrmann

In: Zerbster Heimatkalender 2003, Seite 114—116

* Einige Geräte aus Schloss Reinharz können heute im Dresdner Zwinger besichtigt werden.

Literatur:
Autorenkollektiv: Antoine Pesne, Berlin 1958
Burkhart Richter: Genesungsheim "Freundschaft" Schloß Reinharz, Bad Schmiedeberg (Faltblatt, vor 1989)