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Flämische Gobelins aus dem Zerbster Schloß

Im Februar 1994 konnte nach intensiven Forschungen und Vorarbeiten sowie mit viel Glück für zwei Serien flämischer Gobelins im Deutschen Historischen Museum Berlin, die bisher keinen Herkunftsort zugeordnet werden konnten, als solcher das Schloß Zerbst gesichert werden. Die Stücke befanden sich bis zum II. Weltkrieg im Ostflügel des Zerbster Schlosses. Nach einer recht kurzen Vorbereitungszeit sowie unkomplizierter und tatkräftiger Unterstützung seitens der Textilrestauratorin Frau Anita Gerlach und des oben genannten Museums war es möglich, drei Gobelins vom 11. Juni bis zum 10. Juli 1994 im ehemaligen Franziskanerkloster, bekanntlich Sitz des Museums, zu zeigen.
Durch die außerordentlichen Kriegsverluste, die Zerbst und das Schloßmuseum im April 1945 erlitten, gewinnt die Wiederauffindung und Präsentation der Gobelins einen noch höheren Stellenwert. Von dem einst so großen und prächtigen Barockschloß steht heute nur noch der Ostflügel als Ruine, die sich in einem bedauernswerten Zustand befindet. Die von 1921 bis 1945 in diesem Schloß befindlichen Sammlungen des Anhaltischen Landesmuseums mit kulturgeschichtlicher, naturwissenschaftlicher und vorgeschichtlicher Abteilung müssen, bis auf kleinste Fragmente, als verloren gelten. Diese gilt auch für Teile des einstigen Haus- und Staatsarchivs Zerbst, dessen allerdings namhafter Grundstock heute im Landesarchiv Oranienbaum zur Benutzung offensteht.

Zur Baugeschichte des Schlosses
Auf dem Gelände der mittelalterlichen Burg war die Substanz nach dem Dreißigjährigen Krieg derart stark vernachlässigt, daß der Plan für einen Schloßbau entstand. Den Entwurf, der eine Dreiflügelanlage vorschlug, lieferte bekanntlich der kurfürstlich-brandenburgische Baumeister und Ingenieur Cornelis Ryckwaert. Nach seiner Maßgabe wurde, nachdem am 31. Mai 1681 durch Fürst Carl Wilhelm (1667—1718) den Grundstein gelegt hatte, zunächst das Corps de logis errichtet, das im Innern der italienische Baumeister Giovanni Simonetti ausgestaltete. Simonetti schuf hier, bis zur Fertigstellung 1696, Räume mit prächtigen Stuckdecken. Am 23. Juni 1696 zogen die fürstlichen Herrschaften ein.
Im nächsten Bauabschnitt kam ein Teil des Westflügels in den Jahren 1705—1711 hinzu, den Giovanni Simonetti in Anlehnung an den Ryckwaertschen Plan ausführte. Die Fertigstellung der Inneneinrichtung zog sich noch bis 1720 hin. Dieser Flügel enthielt u.a. die prächtige Schloßkapelle und darunter gelegen die fürstliche Gruft.
In der dritten Bauperiode wurde der südliche Mittelrisalit des Corps de logis zu einem Turm ausgebaut. Den Plan dazu schuf der aus Weißenfels stammende Baumeister Johann Christoph Schütze, der als Hofbaumeister Simonetti folgte. Der Turm beherrschte von nun an die Anlage. Schütze erweiterte dann in den Jahren 1737—1739 den Westflügel um einen Pavillonanbau nach Süden zu.
Unter den Fürsten Johann Ludwig (1742—1746) und Christian August (1742—1747) wurde die Schloßanlage vollendet. Am 13. Juni 1744 begannen die Bauarbeiten unter der Leitung des preußischen Bauinspektors Johann Friedrich Friedel, einem Mitarbeiter des genialen Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff. Im Rohbau 1747 vollendet, zog sich der innere Ausbau noch bis 1757 hin. In diesem Zuge wurden auch kleine Veränderungen am Westflügel vorgenommen, der bis dahin noch einen Uhrenturm trug.
Das äußere Erscheinungsbild der gesamten Schloßanlage ist vom Barock geprägt, während sich im Innern des Ostflügels das friderizianische Rokoko mit seinen verspielten Formen und Rocaillen voll entfaltete. Hier schuf der Berliner Bildhauer Johann Michael Hoppenhaupt, der auch die Schlösser Friedrichs des Großen ausstattete, einen bedeutenden Anteil der wertvollen Innendekorationen.

Die Inneneinrichtung des Schlosses
Die prächtigsten barocken Stuckdecken und Kamine waren im Corps de logis, dem ältesten Teil des Schlosses, zu finden. Die Decke des Großen Saales im 1. Obergeschoß, der sich über zwei Etagen erstreckte und den Hauptraum der Dreiflügelanlage darstellte, war besonders üppig und kraftvoll. In diesem Meisterwerk des Stukkateurs Giovanni Simonetti kam der Barockstil zur vollsten Entfaltung. Überaus schwungvoll wanden sich hier die Akanthusranken um die Deckengemälde, umspielt von lustigen Putten und schweren Girlanden aus Blüten, Blättern und Früchten. Die wuchtigen Stukkaturen setzten sich in den Ecken über den Kaminen fort.
In den Räumen des jüngeren Westflügels waren die Decken nicht so ausdrucksstark, die Stuckelemente waren flacher und in ihren Formen geometrischer. Hier zierten jedoch mehr Plafondgemälde die sonst weißen Flächen und brachten somit die typische barocke Farbigkeit. Die Schloßkapelle trat in diesem Flügel besonders hervor. Die Gesamtkomposition des über zwei Etagen hindurchgeführten Raumes mit monumentalen korinthischen Säulen war sehr eindrucksvoll. Während an einer Schmalwand Altar, Kanzel und Orgel übereinander angeordnet waren, befand sich an der gegenüberliegenden der Fürstenstuhl. Den wesentlichsten Schmuck des Raumes bildete die schöne Stuckdecke mit drei Gemälden, die dem sonst weiß gehaltenen Raum seine Farbwirkung gaben.
Während der relativ langen Bauzeit des Schlosses von über 70 Jahren kam es in Europa zu einem Stilwandel in der Kunst. Somit war die Ausstattung der Räume des jüngsten Teiles des Schlosses vom Rokoko geprägt. Die Stuckdecken besaßen nichts Schweres mehr, sondern waren durch leichte, zarte Elemente bestimmt. Das Hauptgestaltungsmotiv — die Rocaille — war in unendlich vielen Variationen im Zusammenspiel mit Gitterwerken, Pflanzenornamenten, Blüten und Putten zu finden. Der schönste und kostbarste Raum des Schlosses, das Zedernkabinett, besaß eine graziöse Stuckdecke von enormer Leichtigkeit und Formenvielfalt. Die Decke stand in harmonischem Einklang mit den Wanddekorationen aus Zedernholz mit versilberten Schnitzereien. Auch das Mobiliar des Kabinetts wurde passend zur Ausstattung angefertigt und war bis 1945 vorhanden.
Entsprechend der Bestimmung und dem Charakter der einzelnen Räume und Säle sowie deren Entstehungszeit kamen unterschiedliche Arten von Wandverkleidungen zur Ausführung. Im Corps de logis und im Westflügel herrschten Wandbespannungen aus Leinen, Damast, Seide, Atlas und Taft vor, gemalte Tapeten auf Leinwand und Papier waren ebenfalls zu finden. Einige Räume des Corps de logis schmückten auch Gobelins, deren Motive nicht überliefert sind (ohne Berücksichtigung der mit der Errichtung des Ostflügels veränderten bzw. neu eingerichteten Raumfluchten). Mit dem Wandel des Stils zum Rokoko änderte sich auch die Wandverkleidung. Viele Räume waren nun vollständig mit Holz vertäfelt, einer sehr kostspieligen Variante. Die Paneele zierten kostbare versilberte oder vergoldete Rokokoschnitzereien, Wand- und Kaminbilder, Supraporten, Spiegel und Schränke waren fest integriert. Für die Räume mit Wandbespannungen wurde vorwiegend Seide und Samt verwendet. Während des Ausbaus des Schlosses wurden noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts zahlreiche großflächige Gobelins angeschafft und angebracht. Der größte Gobelin aus dieser Zeit befand sich im Schlafzimmer in der sog. "Belle Etage" im Corps de logis, einem Raum, der zum Appartement der Fürstin (später des Prinzen) des Ostflügels gehörte. Auf diesem etwa 10 m langen Gobelin war ein Opferzug dargestellt. Dessen Bordüre, die auf einem Foto erkennbar ist, entspricht genau der, wie sie die heute noch vorhandenen Gobelins umgeben. Demnach dürfte der Wandteppich ebenfalls aus einer der Brüsseler Manufakturen stammen. Im angrenzenden Raum, dem Hauptaudienzzimmer, bedeckten große Gobelins vollständig die Wände. Hier waren die Darstellung der vier Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde, die durch Frauengestalten symbolisiert wurden und ein Teil der Tierkreiszeichen zu finden. Diese Gobelins und die oben beschriebenen wurden bereits um 1918 aus dem Schloß entfernt.
Das Appartement südlich des großen Treppenhauses im Ostflügel war für den Fürsten Christian August bestimmt, wurde jedoch nach dessen frühen Tod 1747 von seiner Witwe eingerichtet und bewohnt. Das Schlafzimmer dieser Raumfolge war mit Gobelins ausgestattet. Von der ursprünglich sehr kostbaren Einrichtung des Zimmers der Fürstin Johanna Elisabeth war bei dem Aufbau des Schloßmuseums ab 1920 fast nichts mehr vorhanden. Die Gobelins wurden um 1927 in das Erste Fürstliche Vorzimmer desselben Flügels umgehängt, wo sie sich bis 1945 befanden. Diese und die Gobelins des anschließenden Zweiten Fürstlichen Vorzimmers sind die, die heute noch vorhanden sind.
Im Ersten Fürstlichen Vorzimmer hingen drei Gobelins, die aus der Brüsseler Manufaktur Peter van den Hecke stammen. Auf dem Hauptgobelin mit einer Höhe von 3,15 m und einer Breite von 3,32 m war die Vermählung von "Amor und Psyche" dargestellt. Die Themen der anderen beiden schmaleren Stücke gleicher Höhe sind bis heute nicht identifiziert, stammen aber aus der griechischen und römischen Mythologie. Eingefaßt waren die Gobelins mit polierten Eichenholzleisten, dem gleichen Material, aus dem auch die Paneele darunter bestanden.
Die Wände des Zweiten Fürstlichen Vorzimmers bedeckten insgesamt sieben Gobelins mit einer Höhe von 3,50 m. Sie wurden in der bekannten Manufaktur van den Borght in Brüssel hergestellt. Folgende Szenen sind auf der Serie von Wandteppichen, die von vergoldeten Rokokoschnitzereien umgeben waren, dargestellt:
   - Diana, von der Jagd zurückkehrend
   - Ceres, die Göttin des Ackerbaus
   - Neptun, der Gott des Meeres, mit Amphitrite
   - Hephaistos, der Gott der Schmiede
   - Bacchus, der Gott des Weines
   - ein schmales Stück (Mädchen mit Kanne)
   - ein schmales Stück (Kanne und Baum)
Vervollständigt wurde die Raumgestaltung durch einen Marmorkamin mit darüber befindlichem Gemälde in der Art der Werke des französischen Malers Watteau sowie Supraporten mit kunstvoll geschnitzten, vergoldeten Rokokorahmen über den Türen. Für den sich anschließenden Audienzsaal bildeten die Vorzimmer einen interessanten Aufenthaltsraum für wartende Besucher.

Von der Herstellung der Gobelins bis zum Anhaltischen Landemuseum
Die oben beschriebenen zwei Serien mit insgesamt zehn, heute noch vorhandenen Teilen, wurden um 1750 in Brüssel hergestellt. Die beiden Manufakturen van den Borght und van den Hecke, die seit dem 16. Jahrhundert bestanden, hatten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren größten Aufschwung in der Gobelinherstellung. Die qualitativ hochwertigen Produkte der beiden Manufakturen waren in den Schlössern der Herrscher in ganz Europa verbreitet. Heute sind Tapisserien dieser Brüsseler Werkstätten u.a. noch in Schloß Schönbrunn bei Wien, Schloß Schleißheim bei München und in Museen von Aachen, Prag und Budapest zu sehen. Die Herstellungstechniken, die Feinheit von Kette und Schuß, die Wahl der Farben, die Sicherheit der Linienführung und das Herausmodellieren der Formen hatten sich im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt und so verbessert, daß feinste Schatten und kleinste Konturen dargestellt werden konnten. Damit strahlen die Teppiche des 18. Jahrhunderts, die von höchstem handwerklichem Können zeugen, eine enorme Plastizität aus und wirken fast wie Gemälde. Für die Herstellung der Wandteppiche war ein enormer Zeitaufwand notwendig. So benötigten drei Weber, die nebeneinander durchschnittlich 60 Stunden in der Woche an einem Teppich arbeiteten, für den großen Bildteppich "Amor und Psyche" vermutlich ein knappes Jahr.
Das erstaunliche an den beiden Zerbster Serien ist, daß die Wandteppiche aus den beiden unterschiedlichen Manufakturen die gleiche Bordüre besitzen, einem Umstand, der bis heute unerklärlich ist.
Die Tapisserien wurden vermutlich auf einem Hautelisse-Webstuhl mit senkrecht verlaufenden Kettfäden angefertigt, d.h. die Bilder lagen quer zum Wirker. Als Vorlage zur Herstellung dienten Kartons in Originalgröße der herzustellenden Gobelins, die meist von berühmten Malern angefertigt wurden und in Abwandlungen immer wieder Verwendung fanden. Die Umrisse und Farbgrenzen wurden entsprechend der Vorlage auf die Kette vorgezeichnet, dann wurden die farbigen Schußfäden in mühevoller, zeitaufwendiger Kleinarbeit zwischen die Kettfäden eingeschossen. Die verarbeiteten Fäden bestanden aus feiner Wolle und Seide, teilweise kamen auch sparsam kostbare Gold- und Silberfäden zum Einsatz. Den gewünschten Farbton der Rohwolle bzw. Rohseide erreichte man durch das Färben mit natürlichen Extrakten. Das Blau gewann man z.B. aus den Blättern der Pflanze Färberwaid, Rot aus der Pflanze Krapp oder Schildlausarten, Gelb aus Safran. Für bestimmte Motive gab es unterschiedliche Wirker. Die kunstfertigsten und daher bestbezahltesten waren diejenigen, die die Gesichter wirkten, andere stellten Figuren, architektonische Ensembles oder Landschaften her. Die Hauptteppiche einer Serie tragen am unteren Rand die Stadtmarke von Brüssel — zwei B zwischen einem Wappenschild laut einer Verordnung von 1528 — und das Werkstattzeichen.
Die Gobelins des Zweiten Fürstlichen Vorzimmers aus der Manufaktur van den Borght wurden 1751/52 von einem "Agenten für Tapeten" aus Brüssel erworben. Ein Hinweis, daß die Teppiche bestellt oder speziell für den Zerbster Hof angefertigt worden sind, läßt sich nicht finden. Vielmehr wird es sich um einen "Gelegenheitskauf" gehandelt haben, da die Stücke nicht exakt auf die entsprechenden Flächen paßten. Zum Teil wurden die Bordüren oder sogar ganze Bildflächen umgeknickt und somit "passend gemacht". Die Dekorationen des Raumes wurden erst nach dem Ankauf der Gobelins angefertigt bzw. vervollständigt. Eine andere Tatsache ist, daß die Verwendung von Bildteppichen zur kompletten Ausgestaltung von Räumen in der Mitte des 18. Jahrhunderts aus der Mode kam. Die Kabinette wurden, dem neuen Zeitgeschmack entsprechend, vorwiegend mit Holz vertäfelt oder mit Stoffen (Samt, Seide usw.) bespannt. Somit dürften sich die Preise für die Teppichserien auf einem für den fürstlichen Hof von Anhalt-Zerbst erschwinglichen Niveau gehalten haben. Trotzdem stellen die Stücke erstklassige Arbeiten von hohem Wert dar.
Die Gobelins im Ersten Fürstlichen Vorzimmer wurden, wie oben beschrieben, vermutlich vom Schlafzimmer hierher verlegt, während die im Zweiten Fürstlichen Vorzimmer ihren angestammten Platz beibehielten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die beiden Serien umfassend restauriert. Als Zeitpunkt der Restaurierung lassen sich nur die Jahre vor 1920 vermuten, also vor der Eröffnung des Anhaltischen Landesmuseums. Wie der Umfang dieser Restaurierungsarbeiten zeigt, waren die Gobelins zu dieser Zeit bereits sehr schadhaft. Zurückzuführen sind die Mängel darauf, daß Schloß Zerbst mehr als 100 Jahre unbewohnt war (das Schloß fiel nach Aussterben des Anhalt-Zerbstischen Fürstenhauses 1793 der Linie Anhalt-Dessau zu). Die Räume wurden nicht beheizt, waren kalt und feucht, was zur teilweisen Zerstörung der Gobelins führte. Die Restaurierung wurde in bezug auf die Webtechnik fachgerecht ausgeführt. Leider wurden jedoch zum Färben von Wolle und Seide für die Ergänzung von Schadstellen chemische Stoffe (Anilin-Farben) verwendet, deren Farbigkeit sich im Laufe der Jahre gegenüber den Partien mit natürlich gefärbten Fäden veränderte und sich abhoben. Die ausgebesserten Stellen sind heute deutlich erkennbar und heben sich zum Teil kraß von der originalen Umgebung ab.
Ein Teil der Beschädigungen entstanden auch durch die mangelhafte Art der Anbringung der Gobelins an den Wänden. Vor wie nach der Restaurierung wurden nur die Ränder der ungefütterten Gobelins angenagelt und die Bildfläche somit gespannt. Die Teppiche hingen mit ihrem gesamten Eigengewicht über Jahrzehnte nur an den Rändern. Durch diese Art der Anbringung wurden die Ränder und Bordüren zum größten Teil zerstört, ein zusätzlicher Wechsel der Rahmenleisten um 1920 trug ebenfalls dazu bei.
Die beiden Räume mit den Gobelinserien waren seit 1921 in den Rundgang des Schloßmuseums einbezogen und vermittelten einen Eindruck von der kostbaren Ausstattung der Repräsentationsräume des Zerbster Schlosses im 18. Jahrhundert.

Die Odyssee der Gobelins
Mit der Ausweitung des Zweiten Weltkrieges und dem schnellen Herannahen der Front wurde das Anhaltische Landesmuseum, wie viele andere Museen auch, geschlossen und damit begonnen, sämtliche Ausstellungsgegenstände in Kisten zu verpacken. Neben beweglichem Museumsgut wurden ebenfalls Kristallkronleuchter, Schnitzereien der Wände und auch die Gobelins entfernt und in Kisten getan. So finden sich die beschriebenen Gobelins auf der erhaltenen Auslagerungsliste unter Kiste Nr. 35 wieder. Diese Kiste und viele andere mit den wertvollsten Gegenständen wurden in den Kalischacht "Solvayhall" bei Staßfurt zur Sicherung abtransportiert. Andere Kisten kamen in die Orte Schielo, Jeber-Bergfrieden, Cobbelsdorf. Ein Großteil der Museumsstücke konnte jedoch nicht mehr verlagert werden und verblieb in den Sälen und Kellern des Zerbster Schlosses. Die hier untergestellten Kisten wurden während des Luftangriffs auf Zerbst am 16. April 1945 mit dem Schloß zerstört, verschüttet oder später aus den offenen Kellern entwendet.
Wie heute bekannt ist, wurden die Kisten aus dem Schacht "Solvayhall" geborgen und in die ehemalige Sowjetunion als Kriegsbeute verschleppt. Im Rahmen eines Kulturabkommens zwischen der damaligen DDR und der Sowjetunion kamen einige Museumsgüter 1958/59 wieder in ihre Heimat zurück. Da jedoch sämtliche deutsche Beschriftungen durch russische Signaturen ersetzt wurden, konnte die Herkunft der meisten Stücke nicht mehr bestimmt werden. So kamen auch die Zerbster Tapisserien nach Berlin — der zentralen Verteilerstelle — ins Museum für Deutsche Geschichte, heute Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden. Ihrer Herkunft nicht bewußt, wurden die Stücke in die Magazine des Museums eingelagert.

Die Restaurierung
Der Zustand der Gobelins hatte sich durch die Transporte und die unsachgemäße Lagerung stark verschlechtert. Die Stücke befanden sich über Jahre zusammengelegt in den Transportkisten, erhielten dadurch scharfe Knicke und waren Temperaturschwankungen ausgesetzt. In der ehemaligen Sowjetunion wurden auch nicht fachgerechte Sicherungsversuche unternommen, die die Originalsubstanz der Wandteppiche eher zerstörten als retteten. Fehlstellen wurden mit grober Wolle gestopft, andere schadhafte Teile wurden mit Fremdgeweben unterlegt und festgenäht. Vermutlich wurde mindestens ein Gobelin ("Amor und Psyche") vor dem Rücktransport für eine Ausstellung im Puschkin-Museum vorbereitet, da sonst eine Hängung nicht möglich gewesen wäre. In mühevoller Kleinarbeit mußten die schlecht ausgeführten Sicherungsmaßnahmen bei der späteren Restaurierung von zwei Gobelins vollständig entfernt werden und gänzlich neu erfolgen.
Ab 1965 wurde begonnen, die stark mitgenommenen Bildteppiche Stück für Stück zu reinigen. Dies erfolgte in einer Chemischen Reinigung in Bautzen. Der Effekt der Reinigung wurde bei diesem Verfahren erzielt, doch die Materialien wurden dadurch sehr spröde.
1978 entschloß man sich im Berliner Museum, einen Gobelin im Rahmen einer Dauerausstellung in der Abteilung Feudalismus zu zeigen. Daraufhin wurde der größte Wandteppich, die Vermählung von "Amor und Psyche", aus der Brüsseler Manufaktur van den Hecke restauriert. Mit den auszuführenden Arbeiten wurde die Textilrestauratorin Frau Anita Gerlach, eine Mitarbeiterin des Museums, beauftragt. Sie restaurierte den Gobelin von 1978 bis 1980.
Der den Teppich umgebende braune Rand war fast völlig zerstört, die Bordüre aus Blattornamenten war ebenfalls stark beschädigt. Pilze und Bakterien führten im Laufe der Jahrzehnte zur teilweisen Zerstörung der Fasern, die natürliche Alterung kam noch hinzu. An einer Stelle befand sich sogar ein 5 cm2 großes Loch. Vor der eigentlichen Restaurierung wurden die Materialien der schlecht ausgeführten Sicherungsmaßnahmen entfernt und fehlende oder gerissene Kettfäden durch neue ergänzt. Auf Grund des hohen Zerstörungsgrades mußte der Rand völlig neu gewebt und angesetzt, Fehlstellen in der Bordüre mußten ersetzt werden. Die vermutlich von der Berliner Gobelin-Manufaktur W. Ziesch & Co. zu Beginn des Jahrhunderts ausgeführten Restaurierungen behielt man trotz der mangelhaften Lichtechtheit bei. Kleinere Schäden in der Bildfläche wurden mittels nachgefärbten Woll- und Seidenfäden ausgebessert. Für die Hängung des Teppichs war ein Trägerskelett notwendig, so daß der Gobelin seine Eigenmasse nicht tragen muß. Die Verbindung zwischen Bildteppich und Stütze wurde durch 5600 Knoten hergestellt. Dieses Verfahren wurde von Frau Gerlach erstmalig im deutschsprachigen Raum angewendet und hat sich, wie Untersuchungen nach Jahren zeigen, bestens bewährt. Nach erfolgreichem Abschluß der Restaurierungsarbeiten spannte man den Gobelin "Amor und Psyche" auf einen Holzrahmen und zeigte ihn bis 1990 im Zeughaus Berlin.
Im Jahre 1981 bekam Frau Gerlach den Auftrag, einen zweiten Wandteppich zu restaurieren. Es handelte sich hier um den aus der Manufaktur van den Borght stammenden Gobelin "Mädchen mit Kanne" (Höhe 3,5 m und Breite 0,9 m). Der Erhaltungszustand war dem des oben beschriebenen Wandteppichs ähnlich. Zusätzlich wies dieses Teil einen Bruch in der Mitte auf, der auf eine unsachgemäße Anbringung zurückzuführen ist.
Der braune Rand wurde hier ebenfalls vollständig neu gewebt und angesetzt, Fehlstellen der Bordüre mußten ergänzt werden, wobei die obere Bordüre auf Grund der hohen Rate von Defekten gesondert behandelt werden mußte. Dieser Bereich erhielt vollständig neue Kettfäden, die an den Fehlstellen für die Einarbeitung der Schußfäden genutzt wurden und an der originalen Substanz hinten als zusätzliche Stütze vorbeiführten. Für eine größere Fehlstelle im Bildteil (17 cm x 22 cm) mußte ein Stück in genauer Paßform auf einem speziell dafür angefertigten Webrahmen nachgewebt und eingesetzt werden. Weitere schadhafte Stellen, besonders im Bereich der Gesichtspartien des Mädchens, wurden in der oben erläuterten Technik restauriert. Die Arbeiten konnten — mit Unterbrechungen — 1986 abgeschlossen werden. Dieser Gobelin kam gerollt wieder ins Magazin.
An einem weiteren Teppich hatte Frau Gerlach begonnen, die Bordüre zu restaurieren. Diese Arbeiten wurden jedoch nicht mehr abgeschlossen. Somit befinden sich alle acht weiteren Gobelins der zwei Zerbster Serien in einem schlechten Zustand.

Die Wiederentdeckung
Bei Beginn der Arbeiten an dem dritten Bildteppich fand die Textilrestauratorin Frau Gerlach ein kleines, fast schon unleserliches Schild mit der Aufschrift "Anhaltische Gemäldegalerie Dessau". Da bislang die Herkunft der beiden Serien ungeklärt war, wandte sie sich 1987 und fünf Jahre später nochmals an die entsprechende Institution. Da die Anhaltische Gemäldegalerie, die sich jetzt im Schloß Georgium, Dessau befindet, jedoch nie Gobelins in ihren Beständen hatte, konnte man dort auch keine weiteren Hinweise geben. Bis heute ist es ungeklärt, wie und warum dieses kleine Schild an einen Wandteppich kam.
Im Herbst 1992 habe ich damit begonnen, die Baugeschichte des Zerbster Schlosses tiefgründig zu erforschen. Neben den bekannten Anhaltischen Archiven und Museen wurde ich auch in der o.g. Galerie fündig. Hier gaben viele Pläne der Barockzeit Aufschluß über Bauetappen und Baumeister. Durch Zufall erhielt ich auch Kenntnis von der Anfrage Frau Gerlachs.
Zwei Fakten bezüglich der Gobelins — die Namen der beiden Brüsseler Manufakturen und die Kennzeichnung eines Gobelins mit "Raum 94" mit Kreide auf der Rückseite — waren erste Hinweise auf Schloß Zerbst. Durch verstärkte Forschungen, Recherchen und die Kontaktaufnahme mit Frau Gerlach konnte ich weitere Informationen zusammentragen, die sich wie ein Puzzle zusammenfügten und schließlich als Herkunftsort der Gobelin-Serien eindeutig Schloß Zerbst ergaben.
Eine Besichtigung sämtlicher Gobelins im Deutschen Historischen Museum Berlin wurde bereits im Februar 1994 möglich. Durch Vergleiche der Originale mit Fotos aus dem Schloß und Literaturquellen mit Beschreibungen der Stücke konnte die These endgültig bestätigt werden.

Die Ausstellung in Zerbst
Nach diesem für Zerbst bedeutsamen und sensationellen Fund wurde erwogen, mindestens einen Gobelin der Zerbster Bevölkerung zu präsentieren. Nach einer recht kurzen Planungs- und Vorbereitungsphase konnten sogar drei Exemplare im Heimatmuseum gezeigt werden. Dies war nur durch die intensive Zusammenarbeit des Heimatmuseums mit dem Zerbster Heimatverein e.V., der aktiven Unterstützung von Frau Gerlach und der unkomplizierten Verfahrensweise der Mitarbeiter des Deutschen Historischen Museums möglich.
In Zerbst waren die Gobelins "Amor und Psyche" aus der Manufaktur van den Hecke, "Hephaistos, der Gott der Schmiede" und "Mädchen mit Kanne" aus der Manufaktur van den Borght zu sehen. Bei dem erst- und letztgenannten Gobelin handelt es sich um die bereits restaurierten. So konnten diese in hängender Form, auf einen Holzrahmen aufgezogen, gezeigt werden. Der unrestaurierte wurde, auf Grund seines schlechten Zustandes, liegend auf einer schiefen Ebene präsentiert. Diese Form der Darstellung hat sich als sehr günstig erwiesen.
Als Einleitung der Ausstellung erfolgte ein Überblick zur Baugeschichte des Zerbster Schlosses. Das weitere Schicksal des Gebäudes wurde in Verbindung mit Gegenständen aus ehemaligen Beständen illustriert. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Darstellung der Anfertigung von Wandteppichen im 18. Jahrhundert sowie die Restaurierung von zwei gezeigten Stücken. Die Erneuerung konnte sehr anschaulich durch Fotos mit dem Vorher-Nachher-Effekt und durch Originalreste und Originalfasern im Gegensatz zu nachgefärbten Fasern und nachgewebten Teilen gezeigt werden. Im Verlauf des Rundgangs folgte dann eine Übersicht über alle noch vorhandenen Gobelins, deren Herkunft und deren Weg bis in die Neuzeit anhand von originalen Dokumenten und Fotos. Den Höhepunkt bildeten die drei Gobelins selbst.
Auf dem schmalsten Stück ist ein Mädchen mit Kanne vor einer barocken Parklandschaft dargestellt. Von der Komposition her fügt sich der Teppich gut in die Serie ein. Durch die geringen Ausmaße des Gobelins war hier jedoch keine mythologische Szene dargestellt, so daß er nur als "Füllmaterial" für eine Ecke zwischen Fenster und Tür im Schloß diente. Beachtenswert ist hier besonders die Feinheit und die Eleganz des Faltenwurfes des Kleides der Frau, wozu auch kostbare Goldfäden verwendet wurden. Auch das Arrangement von Blättern und Früchten im unteren Bereich des Gobelins wirkt sehr plastisch und naturgetreu.
Auf dem zweiten Gobelin ist die Vermählung von "Amor und Psyche" dargestellt. Die Gesichtszüge der Personen sind hier besonders ausdrucksstark und sehen wie gemalt aus. Auch die wallenden Gewänder mit ihrem vielfältigen Licht- und Schattenspiel, die so ganz natürlich wirken, sind wahre Meisterwerke. Im Vordergrund reichen sich Amor und Psyche die Hand, dahinter ist vermutlich Hermes, der Götterbote, dargestellt, der die Götterversammlung einberuft. Daneben steht mit neidischem Blick Aphrodite, die Göttin der Liebe. Über dem ganzen Geschehen erheben sich der höchste aller Götter Zeus und seine Gemahlin Hera. Im Hintergrund steigt Neptun mit seinem Gefolge aus dem Meer empor.
Hephaistos, der Gott der Schmiede, ist die Hauptfigur der Szene auf dem dritten Gobelin. Jeder Muskel seines starken Körpers kann man erkennen, so fein ist die Darstellung. Hephaistos, der Sohn des Zeus und der Hera, war mit Aphrodite vermählt. Der Gott wurde von seiner Mutter ins Meer geworfen, wo er von Thetis gerettet wurde. Zum Dank fertigte er Waffen für ihren Sohn Achilles an. Auf dem Gobelin ist die Szene der Übergabe eines von Hephaistos (rechts sitzend) geschmiedeten Schildes an Achilles (kniend mit Schild), dessen Mutter zwischen beiden Männern steht, dargestellt. Im Hintergrund, in einer Ruinenlandschaft, sind viele Gehilfen des Hephaistos bei der Arbeit zu sehen. Der Zustand der Bildfläche ist, bis auf kleinere Fehlstellen, recht gut, doch die Bordüre und der Rand sind hier stark zerstört und bedürfen der dringenden Restaurierung.

Die Zukunft
Die Gobelin-Serien befinden sich wieder komplett in den Magazinen des Deutschen Historischen Museums Berlin. Über die weitere Verfahrensweise ist bis jetzt noch keine Entscheidung getroffen worden, da hier viele Fakten, insbesondere die finanzielle Seite, berücksichtigt werden müssen. Die wichtigste und entscheidende Tatsache ist, daß die Gobelins die Wirren des Zweiten Weltkrieges und die Zeit danach überstanden haben und sie heute eine wesentliche Bereicherung unseres Kulturerbes darstellen. Vom Berliner Museum ist geplant, einige Gobelins im Rahmen einer Sonderausstellung zu zeigen. So bietet sich hier eine überregionale Gelegenheit, die Zerbster Gobelins zu betrachten.

Dirk Herrmann

In: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde, 3. Jahrgang, Köthen 1994, Seite 188 — 198

Quellen:
A. Gerlach, Dokumentation zum Wandteppich "Amor und Psyche", Thyrow 1981
A. Gerlach, Dokumentation zum Wandteppich "Mädchen mit Kanne", Thyrow 1986
D. Herrmann, Schloß Zerbst in Anhalt — Geschichte und Beschreibung eines Schlosses der Barock- und Rokokozeit, Halle 1998
G. Hinze, Führer durch das Schloßmuseum zu Zerbst, Zerbst 1930
E. László, Flämische und französische Wandteppiche in Ungarn, Budapest 1981
Dr. Vollmer, Wörterbuch der Mythologie, Stuttgart 1974